„Was ich anhatte...“
Der separate Kleiderstapel in der Ausstellung zeigt in vielen Formen, Farben und Materialien, dass die sexuellen Übergriffe sich niemals gleichen. Celina Dolgner
Friedrichshafen - Franzi, Angela, Bibi, Caro, Anika, Luisa, Martha… - die Frauen sind unterschiedlich alt, leben an verschiedenen Orten und ihre Namen sind geändert, doch sie haben eines gemeinsam: Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. In der Ausstellung "Was ich anhatte…", die noch bis 16. Oktober im Medienhaus am See in Friedrichshafen gezeigt wird, berichten zwölf Frauen von sexuellen Übergriffen, die sie erlebt haben. Sie wollen nicht mehr schweigen und Opfer sein, sondern anderen Frauen Mut machen, sich zu öffnen. Präsentiert wird die Ausstellung von der Fachberatungsstelle Morgenrot bei sexualisierter Gewalt Friedrichshafen, die in diesem Jahr ihr fünfjähriges Bestehen feiert, und dem Verein Frauen helfen Frauen e.V. Friedrichshafen, der seit 40 Jahren Frauen in Notsituationen berät und unterstützt. Am vergangenen Samstag wurde die Ausstellung im Kiesel eröffnet.
Jede dritte Frau habe mindestens einmal im Leben körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren - quer durch alle Altersgruppen und Schichten, Religionszugehörigkeiten, Bildungsniveaus oder Nationalitäten, gab Veronika Wäscher-Göggerle, Frauen- und Familienbeauftragte des Bodenseekreises, zu bedenken, die stellvertretend für Landrat Lothar Wölfle die Vernissage-Gäste begrüßte. "Gewalt findet überall um uns herum statt. Auch in unserer nächsten Nähe. Alle drei bis fünf Minuten wird in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt", sagte sie. Sexualisierte Gewalt sei ein gesellschaftliches Problem, das es massiv zu bekämpfen gelte. Es sei wichtig, den Opfern in ihren psychischen und physischen Notsituationen zur Seite zu stehen, sie aufzufangen und zu begleiten. Diese Aufgabe werde sowohl von der Beratungsstelle Frauen helfen Frauen als auch von der Fachberatungsstelle Morgenrot professionell geleistet. "Ich bin froh, dass ich sie im Kampf gegen sexualisierte Gewalt an meiner Seite weiß", so Veronika Wäscher-Göggerle.
"Danke, dass Sie sich mit der Ausstellung an dieses Thema wagen", sagte auch Ines Weber, Leiterin des Amtes für Soziales, Familie und Jugend der Stadt Friedrichshafen, in ihrem Grußwort. Der Verein Frauen helfen Frauen und die Fachberatungsstelle Morgenrot bei sexualisierter Gewalt seien wichtige Einrichtungen: "Sie garantieren fundierte Beratung, Hilfe und Begleitung." Morgenrot-Leiterin Iris Gerster ließ die vergangenen fünf Jahre Revue passieren. Die Fachberatungsstelle bietet Unterstützung für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, deren Angehörige und Vertrauenspersonen sowie pädagogische Fachkräfte und ehrenamtlich Tätige an und setzt sich parteilich für Opfer von sexualisierter Gewalt ein. Über 330 Beratungsfälle haben die Morgenrot-Fachberaterinnen Iris Gerster und Nicole Schäfer in den vergangenen fünf Jahren begleitet. Die Bereiche Beratung, Prävention, Vernetzung und bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Angebotes seien kontinuierlich auf- und ausgebaut worden, so Iris Gerster. Während der Corona-Pandemie erfolgen Beratungen und Gespräche am Telefon oder per Video. Persönliche Face-to-Face-Beratungen sind unter Einhaltung des Hygienekonzeptes der Fachberatungsstelle möglich. Ein neues Beratungsformat "walk and talk" können Betroffene ebenfalls auswählen. Im Januar nächsten Jahres hole Morgenrot noch einmal den bereits vor zwei Jahren gezeigten Präventionsparcours für Jugendliche ECHT KRASS! nach Friedrichshafen, so Iris Gerster. Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 8. Kooperationspartner sind die Stadt Friedrichshafen und das Landratsamt des Bodenseekreises.
Der Verein Frauen helfen Frauen in Friedrichshafen berate seit 40 Jahren Frauen, die häusliche und sexualisierte Gewalt erfahren, berichtete Traudl Schlegel vom Trägerverein und dankte Mitgliedern und Ehrenamtlichen. "Ihr habt in all den Jahren in eurem Engagement nicht nachgelassen", betonte sie. Es sei oft ein langwieriger Prozess, bis die Frauen sich mit ihren Ängsten und Nöten öffneten und Hilfe suchten. Gewalt gegen Frauen sei eine Menschenrechtsverletzung, gab Gabriele Schenk, Leiterin der Beratungsstelle zu bedenken. Die Fälle häuslicher Gewalt hätten im Zuge der Corona-Pandemie zugenommen. Zusätzlich gebe es eine hohe Dunkelziffer. "Gewalt an Frauen findet überall statt, wir dürfen die Augen nicht verschließen", mahnte sie.
Die Ausstellung
Noch bis 16. Oktober ist die Ausstellung „Was ich anhatte…“ im Medienhaus am See in Friedrichshafen zu sehen. Caritas Bodensee-Oberschwaben
Die von Beatrix Wilmes, Autorin und Dokumentarfilmerin, konzipierte Wanderausstellung macht die Erfahrungen von Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, anonym öffentlich. Nach einem Aufruf in den sozialen Medien mit der Bitte, Kleidung zu schicken, welche die Frauen bei den Übergriffen anhatten, und die dazugehörige Geschichte zu schreiben, wurden aus den zahlreichen Zusendungen zwölf verschiedene Geschichten und Outfits für die Ausstellung aus-gewählt. Sie alle machen deutlich - nüchtern und klar -, dass sexualisierte Gewalt für Frauen aller Altersstufen alltäglich ist. Da ist Franzi, die von ihrem Chef sexuell bedrängt wird. Da ist Bibi, die im Alter von fünf bis zwölf Jahren sexualisierte Gewalt durch ihren Stiefvater und einen Nennonkel erfährt. Da ist die 44-jährige Angela, die in ihrem Leben mehrfach Opfer von Vergewaltigung und extremer körperlicher Gewalt wurde. Da ist der Transgender Caro, der unter schwerer Gewalt nachts in einem Park vergewaltigt wird. Und da sind viele, viele andere… Bei den Übergriffen trugen sie Jeans und T-Shirt, Arbeitskleidung, Hosenanzug, Rock und Pullover, Kleid und Shirt. Auch der separate Kleiderstapel in der Ausstellung zeigt in vielen Formen, Farben und Materialien, dass die sexuellen Übergriffe sich niemals gleichen, auch wenn sie zu einem großen Ganzen gehören. Die vielschichtige Installation der persönlichen Kleidungsstücke und Aussagen macht deutlich: Eine Frau wird nicht vergewaltigt, weil sie einen Minirock trägt. Sexualisierte Übergriffe können nicht verhindert werden, indem wir die Kleidung wechseln, denn - so stellt ein Opfer klar: "Es gibt nur eine Ursache für Vergewaltigung - der Vergewaltiger."
INFO: Die Ausstellung "Was ich anhatte…" ist noch bis 16. Oktober im Medienhaus am See, Karlstraße 42, in Friedrichshafen zu sehen - Dienstag bis Freitag von 10 bis 19 Uhr und Samstag von 10 bis 16 Uhr.