Wo hört der Spaß auf? Wo beginnt sexuelle Grenzverletzung?
Wo hören Spaß und plumpe Anmache auf? Wo beginnt die sexuelle Grenzverletzung? Die Ausstellung "ECHT KRASS!", die Mitte Januar im Jugendzentrum MOLKE in Friedrichshafen eröffnet wurde, greift das Tabu-Thema sexuelle Gewalt unter Jugendlichen auf und bietet in einem Präventionsparcours mit fünf Stationen Aufklärung, Information und Hilfestellung. Rund 100 Interessierte, darunter viele Lehrer, Schulsozialarbeiter und Eltern sowie Vertreter der Stadt und des Landkreises, waren zur Auftaktveranstaltung gekommen.
Die Wanderausstellung "ECHT KRASS!" schaffe für Jugendliche einen Erlebnisrahmen, der sie kognitiv und emotional anspreche und zur Auseinandersetzung mit dem Thema "sexuelle Gewalt" anrege, sagte Iris Gerster, Leiterin der Beratungsstelle Morgenrot gegen sexuellen Missbrauch, in ihrer Begrüßung. Die vor fast drei Jahren ins Leben gerufene Beratungsstelle in der Trägerschaft der Caritas Bodensee-Oberschwaben ist zusammen mit der Stadt Friedrichshafen und dem Landratsamt Bodenseekreis Veranstalter der Ausstellung. Mit dem Präventionsparcours wolle man das Thema aus der Tabu-Zone holen, sagte Veronika Wäscher-Göggerle, Frauen- und Familienbeauftragte des Bodenseekreises. "In jeder Schulklasse sitzen statistisch gesehen ein bis zwei Kinder, die sexuelle Gewalt in ihrem Leben erfahren", gab sie zu bedenken. 48 Prozent der Jugendlichen hätten schon Sexting-Nachrichten (erotische Mitteilungen) erhalten. "Ich finde, Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch darauf, vor Gewalt und Missbrauch geschützt zu werden. Und ich finde, auch diesen Schutz müssen wir sehr ernst nehmen", so die Frauen- und Familienbeauftragte. Sie bedankte sich bei Iris Gerster und Fachberaterin Nicole Schäfer von Morgenrot sowie bei Christine Topcu vom Gesundheitsamt Bodenseekreis für deren großes Engagement in diesem Bereich. Die Ausstellung "ECHT KRASS!" schaffe ein Bewusstsein für die Problematik sexualisierter Gewalt bei Jugendlichen und zeige Missstände auf, sagte Friedrichshafens Bürgermeister Andreas Köster. Er lobte die gute Zusammenarbeit der Stadt Friedrichshafen und des Bodenseekreises, wenn es um die Verhinderung sexualisierter Gewalt gehe. So werde die Beratungsstelle Morgenrot beispielsweise durch Mittel des Bodenseekreises und der Stadt Friedrichshafen dauerfinanziert. Der Handlungsbedarf sei groß: "Es gibt viel mehr Fälle, als uns lieb ist, und die Dunkelziffer ist sehr hoch", so der Bürgermeister.
Fünf Stationen im Präventionsparcours
Die Ausstellung "ECHT KRASS!" richtet sich insbesondere an Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. An fünf verschiedenen Stationen erhalten diese Informationen zu Sexismus und sexueller Gewalt, aber auch zu Strategien, wie sie sich gegen Übergriffe wehren und frühzeitig Hilfe holen können. Station 1 "Sex sells" thematisiert sexistische Werbung, Pornografie und sexuelle Übergriffe im Internet. Station 2 "Trial & Error" befasst sich mit Flirttipps, Anmachsprüchen und Selbstbehauptung. Station 3 "Stop & Go" präsentiert sexuelle Skripte und Klischees sowie Möglichkeiten, Grenzen zu achten und zu setzen. "Dabei sein ist alles!" gilt für Station 4 "Love & Hate", die sich mit Gruppendruck, Teenagerbeziehungen und sexueller Gewalt durch Erwachsene auseinandersetzt. Station 5 "Law & Order" schließlich legt Mythen und Tatsachen über Vergewaltigung, Sexualstraftaten und Gesetze sowie die Folgen sexueller Gewalt offen. In der Begleitkabine können die Ausstellungsbesucher eine Gerichtsverhandlung akustisch mitverfolgen. In anderen Kabinen starren viele Augen auf den Körper oder greifen Hände in Gummihandschuhen aus den Wänden und machen sexuelle Grenzverletzungen spürbar. "Wir erreichen mit der Ausstellung über 1000 Schüler", freut sich Iris Gerster. 43 Schulklassen der Klassenstufe 8 aus dem Bodenseekreis haben sich angemeldet und werden "ECHT KRASS!" bis zum 25. Januar besuchen sowie die Thematik im Unterricht vor- und nachbereiten. Parallel zur Ausstellung gibt es umfangreiches Präventionsmaterial mit Arbeitsbögen für die Schulen.
Was bedeutet sexualisierte Gewalt?
Unter sexualisierter Gewalt seien alle Formen sexueller Äußerungen und Handlungen gegen den Willen einer anderen Person zu verstehen, machte Iris Gerster in ihrem Einführungsvortrag deutlich. Dies könnten gegen den Willen der betreffenden Person im Internet veröffentlichte intime Fotos oder Filme genauso sein wie der direkte Körperkontakt - vom plumpen Anfassen bis hin zur Vergewaltigung. Wie wichtig Prävention und Aufklärung seien, zeige die in Hessen im Jahr 2016 durchgeführte Studie Speak!, in deren Rahmen über 2.700 Schüler der Jahrgänge 9 und 10 befragt wurden. Die Befragten waren zwischen 14 und 16 Jahren alt. 81 Prozent von ihnen - "das sind acht Jugendliche von zehn" - gaben an, bereits irgendeine direkte oder indirekte Erfahrung mit sexualisierter Gewalt gemacht zu haben. "Durch den vom Kieler PETZE-Institut für Gewaltprävention entwickelten ‚ECHT KRASS!‘-Parcours erfahren Jugendliche wichtige Tipps und Strategien, wie sie sich gegen Übergriffe wehren können", so Iris Gerster.